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Earthbound

Hier und da hatte ich es bereits angedeutet: Dieser Artikel und weitere, die im Verlauf der Woche folgen, veröffentliche ich im Rahmen einer Kollaboration zwischen dem Agitpoblog, thwidra.de, experimentelles.org und kackreiz.net. Die Idee hatte ursprünglich Björn von Agitpop: Wir stellen alle unsere absoluten Lieblingsspiele vor. Ein kleines Misverständnis hat dazu geführt, dass ich wenige Spiele recht ausführlich beschrieben habe, während die anderen stattdessen viele Spiele kurz abhandeln. Naja, ist ja auch wurscht eigentlich. Mehr Spiele fielen mir eh’ nicht ein und wenn ich einmal dabei bin… naja, ich hatte immer Schwierigkeiten unter 1000 Wörtern zu bleiben wenn ich einmal in Fahrt war :) Wie dem auch sei, lange Rede kurzer Sinn, folgt dem Link zu meinem ersten Artikel und klickt euch auch zu den anderen Blogs durch. Eine Seite die all meine Artikel die in diesem Zusammenhang geschrieben wurden zusammenfasst, findet ihr hier.

Viel Spaß mit Earthbound:


Earthbound ist hierzulande ziemlich unbekannt, aus dem einfachen Grund, dass es in Europa nie erschienen ist. In Japan kam Earthbound ’94 raus, dort unter dem Titel Mother 2: Revenge of Giygas!, als Nachfolger zu Mother auf dem Famicom.

Mother entsprang der Feder von Shigesato Itoi, einem japanischen Schriftsteller und war seine Antwort auf Dragon Quest, das damals gerade herauskam. Dragon Quest ist seit je her berühmt-berüchtigt dafür, vor allem Leute anzusprechen, die Gefallen daran finden, stundenlang auf die gleichen Monster einzudreschen, nur um hinterher stundenlang auf andere Monster eindreschen zu können. Itoi war diese Art monotoner Knochenarbeit ein Greuel, nicht bloß speziell in Videospielen, sondern vor allem in der japanischen Gesellschaft und ihrer krassen Arbeitsmentalität.

Itoi schuf also mit Mother, und später mit Mother 2Earthbound – eine Parodie auf Dragon Quests und sein stumpfes Aufleveln.

Ok, um ehrlich zu sein, ist man in Earthbound immernoch mit ziemlich vielen Kämpfen beschäftigt, es handelt sich halt nach wie vor um ein Rollenspiel, aber im Gegensatz zum drögen Dragon Quest liebt Earthbound den Spieler, bezieht ihn in das Spiel ein und belohnt ihn fürs Spielen, anstatt das Monsterverkloppen mit einfach nur noch mehr Monstern zu toppen.

Itoi, als Querdenker bekannt, hat mit Earthbound garantiert das abgedrehteste Spiel kreiert das je auf dem SNES erschienen ist. Es beginnt alles damit, dass ihr in der Rolle von Ness aufwacht als mitten in der Nacht ein Meteoriteneinschlag gleich neben eurem Häuschen in den Hügeln über Onett eure Ruhe stört. Im Pyjama schlurft ihr los, um der Sache auf den Grund zu gehen, doch bevor ihr euch aus dem Haus schleichen könnt werdet ihr von eurer Mutter erwischt. Da sie euch aber eh nicht daran hindern kann euch davonzumachen, bittet sie euch wenigstens vernünftige Klamotten anzuziehen und vorsichtig zu sein, anstatt im Pyjama durch den Wald zu stiefeln. Und so beginnt euer Abenteuer..

Die große und ganze Story von Earthbound ist schräg aber belanglos. Die meisten Aufgaben, die ihr auf eurer Reise erledigt, haben nicht direkt miteinander zu tun. Stattdessen löst das erscheinen von Giygas in den Städten die ihr besucht jedesmal ein anderes, von mal zu mal schrägeres Chaos aus.

Was mich an Earthbound mit einer kindischen Faszination gefesselt hat, sind die millionen liebevollen Details, die absolut kranken Einfälle die überall im Spiel stecken und immer wieder die Anspielungen auf Rollenspiel-Klischees.

Das beginnt bereits vor dem eigentlichen Spielstart beim Benennen eures Charakters: Es ist kein Name vorgegeben, dafür findet sich unter dem Eingabefeld ein “Don’t care” Button. Neben den vier Hauptcharakteren könnt ihr ausserdem euren Hund, euer Lieblings-“Ding” und euer Leibgericht benennen, welches euch eure Mutter immer dann mit Freude kocht, wenn ihr zurück nach Hause kommt. Euren Vater kriegt ihr übrigens nie zu Gesicht, er ist leider immer so beschäftigt, dass ihr euch nur per Telefon mit ihm unterhalten könnt. Trotzdem macht er sich stets Sorgen um seinen Sohn und ruft ihn auch mal unterwegs an, um ihn daran zu erinnern zu speichern. Neben Schäden an euren HP kann die Party in Kämpfen mit verschiedenen Status-Veränderungen belegt werden. Soweit nichts neues, aber neben den bekannten Feld- Wald und Wiesen-Statusveränderungen eines durchschnittlichen Rollenspiels habt ihr ausserdem zu tun mit: “Crying”, “Feeling Strange”, “Sunstroke” (lauft zu lange in der Wüste herum), “Mashroomized” (Verpilzt, euch wächst ein Pilz auf dem Kopf. Ein Doktor gibt euch 50$ dafür), “Diamondized” und “Homesick” (ruft eure Mutter an um euch zu erholen).


Verpilzt.

Verlorene Hitpoints heilt ihr nicht mit schnöden “Potions” sondern mit Croissants, Cookies, Boiled Eggs, Bags of Fries, Large Pizzas, Magic Pudding, dem Skip Sandwich DX oder dem Cup of Lifenoodles. Die Gegenstände sind nicht etwa in schöden Kisten versteckt, nein, in den Städten und Dungeons liegen kleine Geschenke herum! Und kommt ihr mal nicht weiter geht ihr nicht in die Taverne um nach Tipps zu fragen, sondern geht direkt zum Hint-Shop. Habt ihr euch immer schon über die vollkommen willkürlichen Fetch-Quests in Rollenspielen gewundert? Nun, in Earthbound gilt es Bleistifte zu überwinden die euren Weg blockieren. Die Lösung? Ist doch klar: ein Pencil Eraser. Und wie überwindet man Radiergummis? Na ist doch auch klar: mit dem Eraser Eraser.


Der Pencil und der Eraser

Die in anderen RPGs nervigen, weil komplett sinnlosen Kämfpe gegen schwächere Gegner erspart euch Earthbound freundlicherweise: Zum einen laufen eure früheren Widersacher in Panik vor euch weg wenn ihr stark genug seid, berührt ihr sie trotzdem und käme zum Kampf, wird dieser vom Spiel intern abgewickelt und ihr nur noch über das Ergebnis informiert. Auch die normalen Kämpfe können risikofreudige Spieler dank “Auto Fight” Befehl übergehen. In Kombination mit Savestates und Turbotaste werden die Kämpfe in Emulatoren dadurch so gut wie vollkommen optional. Das Spiel kann so locker in ein bis zwei Wochen durchgezockt werden.

Earthbounds Interface ist identisch mit dem von Enix Dragon Quest und anfangs auch genauso klobig und gewöhnungsbedürftig, glücklicherweise gibt es aber zusätzlich einen universellen USE-Button, so dass man letztendlich doch nicht für jedes Geschenk, jedes Schild und jede Konversation ins Menü muss. In der Praxis ist das Gameplay ziemlich unkompliziert, auch wenn man sich vielleicht erstmal an die ein oder andere schräge Idee gewöhnen muss. Zum Beispiel könnt ihr den Pizzaservice eurer Schwester anrufen, euch eine Pizza IN DEN DUNGEON bestellen und bei der Gelegenheit dem Boten eure überflüssigen Items zu Verwahrung zu geben.

Ich könnte endlos weitere Beispiele aufzählen… Wir haben wie süchtig abendelang vor dem Spiel gesessen, konnten oft unseren Augen kaum trauen, haben Tränen gelacht und Bauklötze gestaunt. Besonders cool sind auch die Dialoge gemacht. Das “Townsfolk” in Earthbound hat immer irgend etwas witziges zu erzählen oder gibt euch gutgemeinte Ratschläge. Immerhin seid ihr noch ein kleiner Junge.

Mother war eines der ersten postmodernen Spiele, die die vierte Wand durchbrechen, sich selbst reflektieren und den Spieler direkt ansprechen. Das gleiche gilt für Earthbound. Es fängt harmlos damit an, dass kurz bevor das eigentliche Spiel beginnt, euer Nachbar Pokey euch daran erinnert, dass ihr im Spiel eure Waffe erst ausrüsten müsst, weil man das in solchen Spielen halt so macht:

Wenn ich mehr verraten würde, müsste ich leider das Ende des Spiels vorwegnehmen oder viele der Überraschungsmomente zerstören die zu den Highlights von Earthbound gehören, deswegen werd ich hierauf auch nicht näher eingehen, sondern zeige stattdessen noch einen Screenshot der vielen Referenzen von Earthbound auf die Beatles, Nintendo, APE, HAL, Filme und hier sich selbst:

Wie man an den Screenshots schon sieht, ist der Unterschied zum Famicom-Original nicht allzu groß. Beeindrucken durch grafische Höchstleistungen kann Earthbound tatsächlich nicht, allerdings ist der schlichte Stil keinswegs häßlich, sondern trägt im sehr gut zur kranken Atmosphäre des Spiels bei.


Die schöne Stadt Moonside

An dieser Stelle verdienen die Kampfbildschirme eine besondere Erwähnung. Sie könnten -hier war wieder Dragon Quest Vorbild – schlichter kaum sein: Die so gut wie garnicht animierten Gegner stehen in der Mitte des Schirms in Reih’ und Glied, unten befinden sich die Statusanzeigen der Partymitglieder, oben 2 Statuszeilen, darunter das Befehlsmenü.

Die 3 richtig coolen Features des Kampfscreens kann man hier leider nicht sehen: Die Statusmeldungen, die genauso schräg sind wie die Gegner: “Cranky Lady attacks Ness with a handbag!” “Frank utters a bad word!” “New Age Retro Hippie attacks Ness with fresh minty breath!” “Coffee cup spills scalding coffee all over Ness!”


Einer der Gegner in Moonside: Dali’s Clock

Die Hintergründe, bestehen samt und sonders aus psychedelischen Mustern die sanft hin- und herwabern, begleitet von 9 verschiedenen Songs aus der Hand von Hirokazu “Hip” Tanaka (Metroid, Kid Icarus) der Zusammen mit Itoi den gesamten Soundtrack komponiert hat.

Auch ausserhalb der Kämpfe ist dieser sehr cool und sehr abwechslungreich: Das Spektrum reicht von psychedelischem Klangchaos, über Funk, Blues, klassischen Videospieltunes, mexikanischen Gitarrenklängen bis zu Ambient. Herunterladen kann die Original SPC Files hier, das zugehörige Winamp Plugin gibt’s hier. (Anspieltipp: mo2-015.spc, alternativ gibt’s im VGMusic Archive auch Midis)

Indem ihr euch nur die Musik anhört kriegt ihr schon einen guten Eindruck von Earthbound. Trotzdem möchte ich jedem der Rollenspielen oder schrägen Spielen allgemein nicht abgeneigt ist, nahelegen, das Spiel zumindest mal anzuspielen.


Saturn Village

Starmen.net – Zentrale Anlaufstelle für alle Mother Fans

Oddities 20: Earthbound Insanity! – Die schrägsten Gags und Kuriositäten als Screenshots

Mother 2 to Earthbound – Interessante Details die sich beim Übersetzen ins Englische ergeben haben.