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Psychonauts

Aus gegebenem Anlass (durchgespielte Nächte sind Anlass genug) muss ich wohl oder übel auf Psychonauts aufmerksam machen, eines der Spiele, das mir aktuell im Gedächtnis hängt. Gutes Design ist normalerweise unsichtbar; in Psychonauts springt es einem vielleicht nur deshalb ins Gesicht, weil es sich in dieser Hinsicht so stark vom Rest der aktuellen Szene abhebt. Dazu noch ein erklärendes Wort: Schändlich unwissenschaftlich ist die Beteiligung Tim Schäfers, offenbar bekannt wie ein bunter Hund und hauptverantwortlich für sämtliche Lucas Arts – Adventure, vollkommen an mir vorbeigegangen. Die Fülle an Reviews, die sich darauf stürzen, ist im Nachhinein auch nicht zu übersehen; ich hab kein einziges davon gelesen. Ich hege die Hoffnung, das diese Unvoreingenommenheit/Naivität folgendem einzig richten, echten und wahren Review(tm) mehr gutes als schlechtes getan hat.

Der erste Eindruck ist der wichtigste

Um eines vorweg zu nehmen: mein erster Eindruck von Psychonauts als passiver Zuschauer vor Flows Fernseher war ausgesprochen positiv: ich möchte sogar behaupten, noch nie zuvor ein so liebevoll designtes 3D-Jump´N´Run-Spiel gesehen zu haben. Die Produzenten, ein Studio namens Double Fine, waren mir bis dato nur äussert flüchtig als Illustratorenduo bekannt; ich war über ihre Online-Comics auf sie aufmerksam geworden, hatte mich aber nicht weiter damit beschäftigt. Die optische Erscheinung der Spiels profitiert ganz eindeutig von ihrer gestalterischen Kompetenz: am augenscheinlichsten tritt sie im Erscheinungsbild der Level zu Tage, die durchweg abwechslungsreich und von Grund auf verschieden sind, von denen jedes unter einem jeweils eigenen Thema steht und die es trotzdem schaffen, allesamt in der selben Spielmechanik bespielbar zu sein und im grösseren Kontext des Spiels als Ganzes zu funktionieren. Auch die Ideen der Entwickler, die sich in der Art der Problemlösungen, des Storyverlaufs, der Gegnertypen und -muster, in Aussehen und Wirkung aller Akteure im Spiel überhaupt ausdrücken, sind größtenteils qualitativ hochwertig. Die Nähe zu diesen Ideen ist außerdem grösser als in anderen Spielen – Psychonauts ist sich durchaus seiner selbst bewusst, spielt ein wenig damit; drängt sich aber nicht in den Vordergrund, sondern schafft eine Balance zwischen der spannenden Storyline und bewusster Lust am Spiel. Sound und Musik tragen das Ihre dazu bei, wobei die Musik nach anfänglicher Begeisterung über treffsichere Stimmungsvermittlung besonders in langwierigen Spielsituationen schon einmal an den Nerven knabbern kann.

Eine detailliertere Beschreibung von Storyline oder Levelverlauf wäre ein fieses Spoilerfest, das ich dem geneigten Spieler lieber ersparen möchte – dazu komme ich im letzten Abschnitt. Soviel soll aber gesagt sein: die Story ist geschickt, spannend und unvorhersehbar erzählt, sie lässt dem Spieler erst etwas Zeit, um dann voll zu greifen. Story und Levelverlauf sind eng miteinander verbunden, und zwar auf eine sehr angenehme Weise, die nicht unsinnig wirkt, sondern dem Spieler das Gefühl gibt, das seine Handlungen vorhersehbare und im Endeffekt wünschenswerte Konsequenzen haben. In dem Moment, in dem die Story vorhersehbar wird, da sie sich schnell dem Ende nähert, trennt sich der Levelverlauf etwas von ihr – nicht vollständig, jedoch soweit, um weiterhin fesselnd zu bleiben. Das Ende wird weiter unten verrissen, richtig ist aber: Bis zu jenem Zeitpunkt, weit im hintersten Zehntel der Gesamterfahrung, ist das Spiel erstklassig.

Ich möchte das noch einmal betonten: Das Spiel ist klasse. Die Interaktion zwischen Spieler und Spiel funkioniert. Es motiviert, weiterzuspielen. Das Spiel weiss, was es will. Es spielt nur dann mit verdeckten Karten, wenn es sich lohnt, sie kurz darauf wieder offen zu legen und damit angenehm zu überraschen. Das Spiel ist sehr selten wirklich fies. Es gibt kaum Geduldsproben. Wenn die Thematik nicht stellenweise etwas problematisch werden würde, könnte ich es als jugendfrei einstufen; so aber ist es für Personen ab etwa dem sechzehnten Lebensjahr reichlich unterhaltsam, für alle jüngeren in seinen Schlüsselpunkten wahrscheinlich unverständlich.

Kommen wir nun zum langweiligen Teil, den ich kurz halte, weil er sich höchstwahrscheinlich woanders im Netz detaillierter nachlesen lässt.

Das Gameplay

Das Spielprinzip ist im Grunde simpel: die handelsübliche Steuerung des Hauptcharakters im dreidimensionalen Raum erfolgt über vier Achsen, wobei zwei davon die Bewegungen der Spielfigur, die anderen beiden diejenige der Kamera steuern; dazu gesellen sich vier Knöpfe zum Springen und Schlagen sowie Benutzen und Abbrechen. Die Besonderheit des Spiels, die 8 verfügbaren Psy-Kräfte, können bequem und beliebig auf drei weitere Knöpfe verteilt werden, eine hilfreiche Funktion zum Anvisieren von Gegnern und Gegenständen gesellt sich auf einem vierten hinzu.

Ziel des Spiels ist, grob gesagt, die Navigation durch die verdrehten Köpfe fremder Leute, in denen die vorherrschenden psychischen Probleme, immer sehr anschaulich manifestiert, recht handgreiflich zu lösen sind. Die verschiedenen Superkräfte des Hauptcharakters werden nach und nach im Verlauf der Storyline entdeckt, während die Level selbst neben den Hauptaufgaben mit einer wirklich riesigen Menge von Sammelbildchen, Extramissionen und verstecktem Zusatzmaterial genügend Stoff zur Verstärkung der bereits vorhandenen Kräfte geben. Dabei ist das Spiel (wahrscheinlich) sehr gut schaffbar, ohne das sich der Spieler jemals bewusst um das Extramaterial kümmern müsste – es liegt größtenteils auf dem Weg oder an interessanten Stellen, die man sowieso einmal besuchen wollte; ansonsten stört es auch nicht großartig, wenn die Psy-kräfte nicht maximal ausgebaut sind, die grundlegende Funktion reicht für alle Aufgaben aus. Für Personen mit zuviel Zeit hat das Spiel ebenfalls genügend schwer erreichbare Verstecke, damit ja keine Langeweile aufkommt.

Enttäuschungen

Nachdem das Spiel mich gepackt ein paar Stunden mitgerissen hat, offenbaren sich leider auch einige der kleineren Schwächen, die im weiteren Spielverlauf immer mal wieder auftreten und ein paar Nerven kosten. Zum einen existiert das Problem mit den Endgegnern, die als Institution an sich in Videospielen nichts schlechtes sind und in Psychonauts natürlich auch ihren verdienten Platz in der Story erhalten. Die Herausforderung eines jeden Endgegner ist es nun, dass er sich natürlich nicht, wie herkömmliche Gegner, mit den bewährten Methoden von Schießen und Schlagen besiegen lässt, sondern eine jeweils eigene Kombination von Psy-Kräften erfordert, die meist in Interaktion mit den Besonderheiten der jeweiligen Umgebung treten. Das klingt gut, erweist sich in der Praxis aber als durchwachsen: die genaue Vorgehensweise ist dem Endgegner nicht direkt anzusehen, sie lässt sich oftmals nicht einfach aus seinem Verhalten ableiten, was schnell für Frust sorgen kann. Das Spiel stellt ein Hilfsmittel bereit, einen Ratgeber, dessen Tips meist den Groschen fallen lassen; trotzdem halte ich es dem Spiel vor, in diesem speziellen Punkt – im Gegensatz zu allen anderen Aspekten – nicht intuitiv genug zu sein.

Ist der Endgegner durchschaut, hapert es als nächstes an der Durchführung: während die Anwendung der Psy-Kräfte im normalen Spiel kein Problem darstellt, offenbaren sich während der Boss-Kämpfe Ungenauigkeiten in der schnellen Zielerfassung sowie Ungereimtheiten im Timing, die den Endgegnern, die an sich äusserst selten eine wirkliche Bedrohung darstellen, unfaire Vorteile verschaffen – einfach, indem bestimmte Handlungskombinationen nicht wie erwartet funktionieren oder in einem zu engen Zeitfenster ausgeführt werden müssen.

Die Steuerung der Spielfigur, zu Beginn des Spiels noch als angenehm empfunden, entwickelt sich zudem mit dem steigendem Schwierigkeitsgrad der Level zur Quelle großer Ärgernis. Die unproblematische und etwas träge, gnädige Art der Bewegung wird zur Hauptursache für vermisste Plattformen, Treffer von Gegnern in ungünstigen Momenten und unmögliche Kamerapositionen; besonderes nervenaufreibend sind diese im Kampf gegen die Endgegner.

Was jetzt an Textmenge das Lob am Anfang übertrifft, sind im Endeffekt dennoch nur die Kleinigkeiten, die sich bemerkbar machen, wenn das Spiel seine schwachen Momente hat. Psychonauts hat seine Stärken eindeutig in anderen Bereichen als der Steuerung, was es aber als Plattformer nicht unbrauchbar macht, sondern ihm nur den obersten Platz auf dem Siegertreppchen verwehrt. Das, was Psychonauts über die herkömmlichen Elemente eines 3D-Jump´N´Runs hinaus in sich trägt, ist einzigartig und in dieser Form führend. Im hinkenden Vergleich mit frühen Lucas Art – Spielen in Bezug auf die Handlung ist Psychonauts kürzer und prägnanter, zieht in der Tiefe und Geschlossenheit dafür aber mindestens gleich. Die technische Weiterentwicklung, die früheren Entwicklungen mangels Erfahrung mit dem Medium oft geschadet hat, steht mittlerweile nicht mehr im Weg, sondern wird geschickt eingesetzt; Psychonauts darf sich rühmen, die Wärme und den Charme mit hinübergerettet zu haben. (Die Frage nach besser oder schlechter bleibt auf dieselbe Art unbeantwortet wie im Fall von Äpfeln und Birnen.)

Der letzte Eindruck bleibt (Rant & Spoiler Warning)

Der folgende Absatz enthält den Verriss des letzten Levels, in dem auf grobe Art und Weise so ziemlich alles kaputtgehauen wird, was das Spiel bis dahin erreicht hat. Dabei komme ich um einige Handlungsstränge nicht herum, weshalb nicht eingeweihte Spieler sich das folgende vielleicht ersparen und direkt an das Ende zum Fazit springen möchten.

Der Frustmarathon der letzten paar Stunden des Spiels beginnt damit, dass dem Spieler, der sich zuvor noch in einer (so fühlt er sich zumindest) äusserst weitläufigen Umgebung wähnte, der weitere Weg zur Einbahnstraße verengt wird. Die jeweils nächste Handlung wird eng und kurzatmig vorgegeben, die Interaktivität verkrüppelt, die Story wird nicht mehr vom Spieler weitergetrieben, das Spiel treibt jetzt den Spieler, der sich mehr oder minder passiv fügen muss. Eine Reihe von Cutscenes setzt ein, unterbrochen nur durch die Botengänge des Spielers, die ihm das Gefühl irgendeines Einflusses auf das Geschehen vollkommen entreissen. Doktor Loboto, altbekannter nervtötend kichernd und endlos monologierender Bösewicht, wird äusserst unspektakulär von einem Charakter erledigt, den man fünf Minuten vorher das erste Mal überhaupt zu Gesicht bekommen hat. Coach Oleander wird in Persona ebenfalls nicht vom Spieler, sondern von den eben erst erretteten Psychonaut-Trainern erledigt, dem Spieler bleiben die Cutscenes und ein schlaffes Telekinesis-Turnier, gefolgt von der Frechheit schlechthin. Das letzte Level ergibt sich aus dem Mix der Psyche von Coach Oleander und der des Protagonisten, was konkret bedeutet, dass das Design zum kruden Mix aus Zirkuszelt und Metzgerei mit entsprechend matschigen Fleischtexturen verkommt, in denen klumpig gestaltete Gegner mit brechreizerregenden Sounds auf willkürlich angeordneten Plattformen möglichst viele Treffer aushalten und andauernd respawnen. Die Endgegner, der Metzgermeister und der Freak, sind lächerlich leicht zu besiegen, während der finale Jump´N´Run-Abschnitt einen Schlag ins Gesicht darstellt: In einer Zylinderförmigen Fleischmanege, in der stetig das tödliche Wasser steigt, gilt es, alle akrobatischen Kunststückchen des gesamten Spiels noch einmal vorzuführen; jeder Fehltritt wird bestraft, indem man ins Wasser fällt und nochmal von vorn beginnen darf. Mit freundlicher Unterstützung der beschissenen Steuerung und dem jonglierenden Hampelmann, der ununterbrochen mit Raketen dafür sorgt, das man jede halbe Sekunde entweder a) schmerzhaft viel Energie und die Balance verliert, b) mit Ausweichen beschäftigt ist und kein Stück weiter kommt oder c) feststellen muss, das man auf dem Hochseil oder am Reck seine Psy-Kräfte nicht wechseln und sich deshalb weder Unsichtbar machen noch in ein schützendes Kraftfeld hüllen kann. Yeah! Getoppt wird das ganze vom aufklärenden 2-Minuten-Vater-Sohn-Konflikt und einer finalen Rendersequenz, die weder nostalgisch zurückblickt noch Hunger auf mehr macht, sondern den Spieler ratlos vor den Credits zurücklässt und zu schnell, zu abgedreht und zu lieblos daherkommt. In diesem Sinne wirft das Ende einen ekelhaften Schatten auf die wirklich tolle Zeit davor; dummerweise steht das Ende eben am Ende, was dem ganzen Spiel leider einiges von dem Flair raubt, den es in der Erinnerung eigentlich haben sollte.

Fazit

Innovatives Jump´N´Run mit vielen richtig guten Ideen, einer Storyline, die neugierig macht und einer Umsetzung, die ihresgleichen sucht. Nur bitte erst dann richtig zuende spielen, wenn man es wirklich nie wieder sehen will.